Der Karlstisch

(c) Musik & Text by » Walter-Peter Steinpruckner «

… auch der „Steinerne Tisch“ genannt, ist ein kostbares und sagenumwobenes mittelalterliches steinernes Geschichtsdokument der Stadt Baden, über 500 Jahre lang bekannt, vermutlich aber weit älter.
Dieser Steintisch besteht aus einer Platte mit einem Durchmesser von ca. 170 cm und einem Sockel mit den Massen 100 x 60 x 60 cm. Er wiegt 1.555 kg. Das Material ist ein Konglomerat wie es noch heute in den Steinbrüchen der Badener Umgebung abgebaut wird. Der Tisch stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus der 1180 erstmals erwähnten Veste Rohr, die bereits vor dem Jahr 1500 zerstört und in den Folgejahren praktisch zur Gänze abgerissen worden ist.
Der Tisch steht an der Grenze des Herrenlandes zum Untertanenland der ehemaligen Veste und diente der lokalen Gerichtsbarkeit. Hier fand bis ins 19. Jahrhundert alljährlich die Untertanenversammlung, das sogenannte Banntaiding, statt. Dabei wurde der Ortsrichter gewählt und nach uraltem Gewohnheitsrecht geurteilt. Der Steinerne Tisch wurde wohl nach Aufgabe der Burg als neuer Gerichtsort eingerichtet.
Um den Steinernen Tisch, der im Volksmund auch die Bezeichnung „Karlstisch“ trägt, ranken sich zahlreiche Legenden und sagenhafte romantische Erzählungen. Das nahegelegene Baden war in der Zeit der Karolinger nicht ohne Bedeutung. 869 wird „Padun“ als Pfalz Karlmanns, des Enkels Karls des Großen, genannt. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass der Karlstisch von Heimatforschern im 19. Jahrhundert gerne mit Karl dem Großen in Verbindung gebracht wurde.
Ende des 20. Jahrhunderts wurde der Tisch durch Vandalenakte stark in Mitleidenschaft gezogen. Dank der privaten Initiative engagierter Bürger, der Gründung des Vereins Vestenrohr-Karlstisch und der Einbindung in ein Projekt der Gemeinde Baden gemeinsam mit der Dorf- und Stadterneuerung des Landes Niederösterreich konnte der Steinerne Tisch im Jahr 2007 restauriert und wieder aufgestellt werden. Er dient gemeinsam mit dem noch in Planung befindlichen Kommunikationszentrum Veste Rohr der Förderung und Weiterentwicklung der gemeinsamen kulturellen und sozialen Interessen aller mit diesem Ort verbundenen Menschen.

  • Wie erreicht man den „Karlstisch“ ?

Es ist ein kleiner Spaziergang, der uns unvermittelt mit einem Blick in eine ferne Vergangenheit führt. Vom Bahnhof in Baden kommend, überqueren wir auf der Dammgasse die Schwechat, biegen links in die Braitnerstrasse ein und gehen dann rechts in die Rohrgasse hinein. Gegenüber von Haus Nr. 28 zweigt die Gasse „Veste Rohr“ ab, die uns nach etwa 100 Metern an unser Ziel führt: den „Karlstisch“. Vor vielen Jahren waren der Platz und das gesamte Areal rund um den Karlstisch „a Gstätten“. Also ein von Unkraut umwuchertes und von wildem Gestrüpp durchsetztes Gebiet, auf dem so manche Zeitgenossen ihr Gerümpel oder ihren Mist entsorgten. Kein Ort jedenfalls, der der Bedeutung des Objektes gerecht wurde. Der Tisch war eine Zeitlang auch von Sprayern verunziert worden. Doch nun ist das ganz anders. Der wundersame Kulttisch in Baden ist heute von einem Zaun umgeben. Das Areal rund um die kleine, nun abgesperrte Fläche hat sich mittlerweile stark verändert. Eine Häusersiedlung und ein Kinderspielplatz sind in der Nähe entstanden. Eine Initiative des Vereins Vestenrohr-Karlstisch, unterstützt von der Niederösterreichischen Stadterneuerung, hat dem legendären „Steinernen Tisch“ gut getan. » siehe Lageplan weiter unten «

  • Mythen, Geschichten und Fakten rund um den „Karlstisch“

Der Karlstisch zählt zu jenen mysteriösen Relikten aus grauer Vorzeit, die durch ihre klobige Urtümlichkeit unsere Aufmerksamkeit und Neugier herausfordern, rätselhaft und beunruhigend zugleich. Der „Karlstisch“ in Baden erinnert an eine Welt lange vor dem Christentum, an eine archaische Religiosität, in der die allmächtige und immer zürnende Gottheit nur durch Opfer zu besänftigen war. Die Sage erzählt, dass sich hier einst Kaiser Karl der Große zum Mahl niedergelassen haben soll – daher der Name „Karlstisch“. Eine nette Geschichte, aber wohl nicht mehr. Denn warum sollte Karl, der alles „Heidnische“ hasste und von seinen Knechten brutal zerstören ließ, ausgerechnet hier eine Ausnahme machen ? Seine Kriegszüge gegen die Awaren führten ihn zwar in den Wiener Raum, von einem Aufenthalt des Karolingerherrschers in Baden wissen die Quellen aber nichts. Anno 869 wird Padun allerdings als Pfalz Karlmanns, des Enkels Karls des Großen, genannt. Auffallend ist die Ähnlichkeit des „Karlstisches“ zum ebenso urtümlichen Steintisch vor der Wallfahrtskirche Maria Taferl, dem nachgesagt wird, dass er ein keltischer Opfertisch gewesen sein soll. Geht man von dieser Annahme aus, wären die beiden Tische prähistorische Altäre gewesen, Orte kultischer Opferhandlungen. Blicken wir uns die Dimensionen des „Karlstisches“ genauer an: die runde Tischplatte hat einen Durchmesser von 1 Meter 70; der Sockel hat die Maße 100 x 60 x 60 cm; der gesamte Tisch wiegt 1.555 kg. Die Tischplatte ist aus einem Stück gearbeitet und weist in ihrer Mitte eine schalenartige Vertiefung auf – ein mögliches Indiz für die Funktion Opferstätte“. Gewiss ist, dass die Form des Steintisches bereits einen deutlichen Fortschritt im Kult der Gottheit darstellte. Die Opferstätte erhob sich nun bereits deutlich über dem Boden, ihre Erhöhung symbolisierte die Erhebung der Opfergabe zu den himmlischen Mächten. Der Altar späterer Zeit, der „Tisch des Herrn“, kündigte sich an. Spätere Geschlechter missverstanden diese ursprüngliche Funktion und sahen im „Karlstisch“ tatsächlich einen Tisch, die sakrale Komponente ging jedoch nicht ganz verloren. So berichtet eine Quelle aus dem 16. Jahrhundert, dass alljährlich am Ostermontag von den Badener Honoratioren beim „Karlstisch“ ein Mahl abgehalten worden sei, davor sei noch das Evangelium verlesen worden – noch existierte also noch eine Ahnung davon, dass dieser Ort einst von großer kultischer Bedeutung gewesen war. Das alljährliche Ostermahl verwandelte sich schließlich zum Hochzeitsmahl: in der Familie des Grundbesitzers war es bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts üblich, bei jeder Hochzeit in der Familie beim „Karlstisch“ ein großes Gastmahl für die Hochzeitsgäste zu veranstalten. Wundersame Geschichten ranken sich seit jeher um den Karlstisch: so berichteten Badener Bürger von „flackernden Lichtern, die sich zu bestimmten Zeiten über den feuchten Wiesengrund“ bewegen sollten. Bis zum Jahre 1839 wurde an jedem Todestag des Frankenkaisers – dem 28. Jänner 814 – in der Nähe des Tisches eine Art Prozession durchgeführt. Erst nach dem rätselhaften Tod zweier Männer, die im Rausch die Steinplatte vom Sockel gestoßen haben sollen, stellte man diesen alten Brauch ein. Ebenfalls bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde beim „Karlstisch“ das sogenannte „Banntraiding“, die Untertanen-versammlung des Ortes, abgehalten, bei dem man den Ortsrichter wählte und nach altem Recht Urteile sprach. Das könnte darauf hinweisen, dass der „Steinerne Tisch“ nach dem Untergang der Veste Rohr – ihre Überreste befinden sich unter dem Spielplatz der Wohnanlage Veste Rohr – deren Funktion als „Gerichtsstand“ übernahm.

  • Eine seltsame Geschichte

Seltsame Vorfälle sind auch aus späterer Zeit überliefert. So soll am Abend des 7. Februar 1923 Folgendes passiert sein: zwei Winzer, die ihre Weingärten in der Nähe des Fieberkreuzes am Hartberg hatten und den ganzen Tag in den Rieden tätig gewesen waren, befanden sich auf dem Heimweg. Da sie den Weg seit ihrer Jugend bestens kannten, waren sie ohne Licht unterwegs, obwohl es bereits dunkel geworden war und Nebel einzufallen begann. Sie waren in der Nähe des Karlstisches angekommen, als sie schemenhafte Gestalten zu erkennen glaubten. Sie traten näher heran und erblickten eine Szene, die sich ihnen tief ins Gedächtnis graben sollte. rund um den Karlstisch saßen vier unbekannte Personen, die sie unbeweglich anstarrten. Vier Männer, deren Anblick sie derart lähmte, dass sie unfähig waren, auch nur einen Finger zu rühren. Gleichzeitig aber nahmen die beiden Winzerin ihrem Trancezustand jedes Detail der unheimlichen Gestalten wahr. Es war, als hätten sie die Grenze zu einer „Anderswalt“ überschritten. Schließlich fassten sie den Mut und wollten näher an den Karlstisch herantreten – doch in diesem Moment waren die fremden Gestalten verschwunden. Lange Zeit hindurch sollen die beiden Winzer kein Wort über ihr merkwürdiges Erlebnis verloren haben, erst nach Monaten brachen sie ihr Schweigen und berichteten über die unheimliche Begegnung. Die Gegend um den Karlstisch soll danach von den Bewohners Badens ängstlich gemieden worden sein.

Quelle: Robert Bouchal – Johannes Sachslehner „Magischer Wienerwald“, Pichler Verlag 2016,
ISBN 978-3-85431-729-6

  • Lageplan Veste Rohr und Karlstisch

Veste Rohr und Karlstisch befinden sich in einem Gebiet, das im Norden von der Braitnerstrasse, im Westen von der Rohrgasse, im Süden von der Rudolf Zöllnerstrasse und im Osten von der Rohrfeldgasse begrenzt wird. Veste Rohr und Karlstisch liegen unmittel-bar neben einem großen Kinderspielplatz.

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